moira – über das Schicksal


moira – über das Schicksal
Die beliebte Diskussion darüber, ob ein gewisses Ereignis «Schicksal oder Zufall» ist, spaltet Romantiker und Rationalistinnen.
Der Begriff «Schicksal» wird dabei dem Wort «Zufall» gegenübergestellt. Schicksal meint dann «Vorhersehung, Bestimmung» – Zufall meint «es ist einfach passiert», ohne das Zutun einer ordnenden Kraft.
Was nun? Dass beides nebenher existiert, scheint schwierig machbar, denn dann würden wir gleichzeitig in einer gesteuerten und in einer ungesteuerten Welt leben.
Aus meiner persönlichen Sicht existiert die Fragen nach «Schicksal oder Zufall» deshalb nicht. Wenn ich die Kette der Ereignisse, die zum Jetzt geführt haben, aufgliedere, finde ich keine Unterbrüche. Jeder einzelne, winzigste Entscheid ist bedingt durch den vorherigen und beeinflusst den nächsten. Und all die unzählbaren Entscheide, die jedes Wesen ständig trifft, bedingen sich wiederum gegenseitig. Das Netz ist so dicht gewoben, dass es kein Durchfallen in einen «Zufall» gibt. Schicksal ist das, an dem ununterbrochen gewoben wird, das, was dauernd passiert.
Menschen personifizierten gerne dieses Schicksal in Frauen, Tieren, einer göttlichen Kraft oder Symbolen. Und sie möchten auch wissen, wie es in Zukunft weitergeht. Sie finden Hinweise auf zukünftiges Schicksal in Sternenkonstellationen, auf Tarotkarten, bei Seherinnen und im Verhalten von Tieren.
Es ist unmodern, sein Schicksal zu akzeptieren. Wir möchten die «Herren» unseres Schicksals sein. Wir möchten bestimmen, wählen und steuern. Nicht nur im Kleinen. Sondern umfassend: Bei Geburt, Leben und Tod. Welcher Mensch wo, wie und wann zur Welt kommt. Wie er oder sie lebt und wann er oder sie wieder von der Welt geht, in die unantastbare Dimension.
Ärgerlich, dass nicht alles in unseren Händen liegt! Wo Eigenvermögen, Wissenschaft, Technik und Medizin versagen, gibt es den Fallschirm der Weltreligionen, die sich darauf spezialisiert haben, Trost zu spenden und Erklärungen für Schicksal und Jenseits anzubieten. Leider aber ist das sehr menschengemacht. So kommen wir nicht weiter.
Frühe europäische Kulturen waren teilweise etwas näher an der Immanenz, die dem Leben zugrunde liegt. Sie erörterten in allen Erscheinungen einen Kreislauf von Entstehen, Vergehen und Ruhen. Diesen symbolisierten sie in einer dreifachen Göttin. Sie war die Junge, die Erwachsene und die Alte. Eine Schicksalsgöttin, die mit vielen Namen auftrat:
Im alten Rom waren es die Parzen, in der griechischen Mythologie die Moiren (Μοῖρα Moíra, deutsch «Anteil, Los, Schicksal»). Bei den Germanen die Nornen (Urd, Verdandi und Skuld). Frühchristlich die Bethen (Wilbeth, Ambeth und Borbeth) – deshalb «beten» wir! Bayerisch die drei heiligen Madeln, im baltischen Laima, Kārta und Dēkla, in der etruskischen Kultur die Lasen…
Was unterscheidet diese nun von einem transzendenten Gott? Es ist die Akzeptanz der Gesetze der Erde und des Weltenraums, in dem wir uns befinden, zu dem wir mit jedem Herzschlag, jedem Molekül gehören. Das Leben ist vergänglich, zyklisch, insgesamt selbsterneuernd. Es ist niemals linear, und jeder Zustand ist jederzeit in Veränderung.
Die Lösung heisst Annahme, sie heisst Hingabe, sie heisst Vertrauen. Und dies ist das Gegenteil unserer linearen, auf Herrschaft ausgelegten Denk- und Lebensweise. Das Gegenteil von Unfühligkeit und Grössenwahn.
Wollen wir die Kontinuität des Lebens, die das einzelne Leiden und den individuellen Tod mit einschliesst, oder sind wir nicht eigentlich verliebt in ein Weltuntergangs-Szenario, in welchen wir die geilste Generation sind, die auf dem Vulkan tanzt und sich nicht mehr bremst, weil der totale Crash ja eh unausweichlich ist?
In einer künstlerischen Arbeit bin ich mittels Collagen diesen Gedanken nachgegangen.
Hier kostenlos herunterladen:
Zudem habe ich zehn Personen, welche beruflich mit dem Thema Schicksal zu tun haben, um einen Beitrag zur Publikation gebeten. Es sind: Ruth Allamand, Fachpsychologin, Kriens; Maryse Bodé, Lyrikerin, Stans; Sabine Brönnimann, Fährfrau, Bestatterin und Totenrednerin, Rorbas; Dr. Kurt Derungs, Kulturantrophologe, Grenchen; Prof. Dr. Corina Caduff, Literatur- und Kunstwissenschaftlerin, Zürich; Prof. Dr. Bruno Frischherz, Linguist und Philosoph, Luzern; Renate Metzger-Breitenfellner, freie Journalistin, Beckenried; Andrea Pilchowski, Heilpraktikerin und Sterbeamme, Regensburg; Gisula Tscharner, geistiges Unternehmen, Feldis.
Hier kostenlos herunterladen:
moira – über das Schicksal, Texte





