Gebärende Maria

Im Kunstraum des Mariendoms in Linz wird eine geschnitzte, moderne Marienstatue während dem Gebären von Jesus gezeigt. Sie sitzt mit geöffneten Beinen und hochgezogenem Rock da. Zwischen ihren Beinen ist, leicht abstrahiert, der Kopf des Kindes vor dem Austritt aus ihrem Körper zu sehen. Die Skulptur wurde von den Österreicherinnen Esther Strauss (Konzeption) sowie Theresa Limberger und Klara Kohler (Gestaltung) erschaffen, und im Dom von Linz ausgestellt.
Die gebärende Madonna ist ein Tabubruch. Ein provokatives Werk, welches viele wichtige Themen in den Diskurs bringt. Denn Maria wurde in ihrer ganzen umfangreichen Ikonografie nie beim Gebären dargestellt. Leider wirkt die Figur in Linz trotzdem nicht sehr selbstbestimmt. Schmerzverzerrt-vorwurfsvoll schaut sie Richtung Himmel. Es ist die «Magd des Herrn», die in Schmerzen gebären muss, nicht die Göttin, die freigiebig und machtvoll gebiert.
Ich suche im Standardwerk «Ma» von Annine van der Meer nach vorchristlichen, gebärenden Göttinnen. Erstaunlicherweise finden sich aus der Ur- und Frühgeschichte Europas nur sehr wenige Figurinen und Statuen, welche die Göttin im Moment des Gebärens zeigen. Muttergöttinnen halten ihr Kind im Arm oder stillen, wie dies bei Maria ebenfalls üblich ist. Die Göttin auf dem Löwenthron aus Catal Höyük (6450-6250 v.u.Z.) ist eine eindrückliche Ausnahme, zwischen ihren Beinen ist der Kindskopf zu sehen.
Die Darstellung der explizit gebärenden Maria ist also tatsächlich sehr provokant. Ich kann verstehen, dass jemand das Bedürfnis hat, ein Tuch über ihre Beine zu legen, um ihre Intimität zu schützen. Doch die Reaktionen fallen weit heftiger aus: sie wird zersägt.
Der Moment, in dem eine Frau ein Kind, eine Tiermutter ein Junges gebiert, hat etwas unglaublich machtvolles, magisches – es ist ein Augenblick ausserhalb der Zeit. Denn es ist nicht «Reproduktion», sondern reine Kreation! Etwas, dass keine andere menschliche Schöpfung je wettmachen wird. Aber es ist auch ein Moment, in dem Mutter und Kind sehr verletzlich sind. Ein Übergang, und Übergänge sind fragil.
Die Madonna in Linz ist mir mit ihrem Blick zum Himmel etwas zu gottergeben, zudem den Blicken fremder Menschen viel zu stark ausgeliefert. Ausgeliefert war sie auch gegenüber dem Täter, welche ihr den Kopf absägte. Allen gebärenden Frauen dieser Welt ist etwas Anderes zu wünschen: Achtung, Wertschätzung, Begleitung und Schutz.