Lebenswasser

Ein wunderbarerer Vorfrühlingstag. Ich steige aufs Fahrrad und fahre zum Kloster Fischingen. Eine knappe Stunde oberhalb des Klosters steht im Wald eine bescheidene Kapelle, welche «Mutter Idda» geweiht ist. Und diese einfache, offene Kapelle steht direkt auf einer Quelle.
Nach den letzten Gehöften, am Waldrand, rufe ich die Himmelsrichtungen, die Kräfte, erstelle den schützenden Kreis und räuchere den Alltag weg.
Der Waldweg führt steil bergauf. Das Heiligtum liegt versteckt, an einem steilen Abhang. Ich liebe diesen Ort! Unter der Kapelle wird das Wasser gefasst und fliesst aus einem alten Rohr in ein halbrundes Becken direkt unter zwei Treppen. Auf der anderen Seite des Wegs sucht es als Bächlein seinen Weg durch den Wald hinunter zum Kloster.
Ich lasse mir Zeit, lausche den Vögeln, grüsse das Eichhörnchen, versuche wahrzunehmen, singe. Die heilige Idda ist die lokale Verkörperung der Göttin. Und ich weiss, was ich mit ihrem Lebenswasser machen werde. Bevor ich mit einem Becher voll Wasser in der Hand die Kapelle verlasse, sehe ich in den Bäumen eine kleine Frau mit langen, weissen Röcken sitzen. Sie schaukelt auf einem Ast und lacht mir zu…
Hinter der Kapelle führt der Weg noch ein kurzes Stück weiter nach oben. Da war ich noch nie. Ich erreiche die Hügelkuppe und traue meinen Augen nicht: ich stehe vor einer zehn Meter hohen, schneeweisse Säule mit einer Madonna drauf, flankiert von zwei mächtigen Linden. Mitten auf der Weide!
Vorerst schüttle ich nur den Kopf und suche mir einen nach Osten gerichteten, geschützten Ort am Rande des Platteaus. Unverhofft fällt der Blick durch die Bäume hinüber zur die «Iddaburg», dem Hügel, auf dem die Kirche der heiligen Idda steht.
Hier errichte ich meinen Ritualplatz. Hier möchte ich die Frühlingskräfte ehren. Es ist warm, ich kann mich zum ersten mal nach dem Winter auf die Erde legen. Und dabei geht mir endlich das Licht auf! Die Säule, auf der in luftiger Höhe die Frühlingsgöttin steht. Alles passt.
Und wer ist die Elfe im Baum? Ist es der Gruss einer vorchristlichen Priesterin, welche vormals diese Quelle hütete? Eine Frau aus dem Alten Volk? Intuition, Phantasie, Materialisierung? Vielleicht ist es unwichtig. Sie zeigte sich mir, und das ist schön.
Ich benetze mich mit dem Lebenswasser aus der Iddaquelle und bitte die weisse Göttin des Neuanfangs um Erneuerung, Klarheit und Kraft. Ich bitte sie, meinen Weg durchs Jahr zu begleiten und verspreche, ihr durch alle Wandlungen hindurch verbunden zu bleiben.
Dann hüpfe ich barfuss über die Wiese, um meine Verjüngung zu spüren. Die weisse Göttin erhält zum Dank ein blumengeschmücktes Nestchen und ein Ei von meinen Hühnern. Sie schenkt mir Veilchen… Dann heisst es, die Kräfte verabschieden und den Kreis lösen, um vom Berg herunterzusteigen. Beseelt und dankbar kehre ich zurück in meine «Alltagswelt»; überall sehe ich Zeichen.